Aus dem Brückenraum schrillten die Alarmklingeln. Kapitän Haigis richtete sich auf. Benommen klammerte er sich an den Handlauf des Gangs. Aus der Küche drang das schmerzhafte Stöhnen des Smutje. Haigis spürte etwas Warmes an seiner Hand herunter laufen. Blut tropfte auf den Boden, das von dem tiefen Schnitt stammte, den er sich an den zerbrochenen Lampen zugezogen hatte. Von der Brücke drang lauter werdendes Stimmengewirr. Die MS Doria lag wieder ruhig in der See und das Geräusch der Motoren schien unverändert.
Als er den Brückenraum betrat, blendete ihn ein gleißendes Licht, das ihn kurz die Augen schließen ließ. Sein Blick suchte die Borduhr – die Zeiger standen kurz vor fünf.
„Was zum Teufel ist das?“ Lars Vellman, der holländische Erste Offizier sah ihn entgeistert an.
Haigis blickte auf den Kalender – sie hatten den siebenundzwanzigsten November!
„Vellman, was sagt Ihre Uhr?“ fragte Haigis gepresst. Tief in seinem Inneren machte sich ein Gefühl der Bedrohung breit. „Gleich fünf, Chef“ erwiderte Vellmann leise. Seine Stimme wirkte unsicher. „And what’ s your time, Wong?“ wandte sich Haigis an den chinesischen Steuermann und deutete dabei auf seine Armbanduhr. „Nearly Five, Mr. Haigis“ antwortete Wong. „... you`re bleeding!“ Wong ging zum Erste Hilfe Kasten neben der Außentür und fummelte ein Verbandspäckchen heraus.
„Also was zum Teufel war das?“ wiederholte Haigis lauter. Er versuchte, seiner Stimme die gewohnte Autorität wieder zu geben, doch sein Ton war brüchig. „Ich weiß es nicht, erwiderte Vellmann, „es gab einen Schlag und plötzlich war da dieses Licht, diese Helligkeit…“
„And the rudder turned over to six degrees,“ ergänzte Wong den Bericht des ersten Offiziers. „Let me see your hand, Captain.“ Wong nahm Haigis Hand und wickelte unfachmännisch eine Mullbinde um den blutenden Schnitt.
"Maschinenausfall, Wassereinbruch?" fragte Haigis, sich an routinierte Abläufe haltend. Vellmann schüttelte den Kopf. „Irgendwas auf dem Radar?“ schob er nach. “Nichts,“ antwortete Vellmann, „kein Schiff weit und breit, Ost-Südost, zweihundert Meilen vor Point Noir,“ beendete er seine Meldung.
„And no icebergs, Sir,“ versuchte Wong einen Scherz. „Eisberge vor Afrika“ ätzte Haigis, der die Ironie überhört hatte.
Er trat an das große Brückenfenster und blickte hinaus in die gleißende Helligkeit, die sich übergangslos vom Horizont bis zum Bug des Schiffes erstreckte und die MS Doria in ein weißes Tuch einhüllte.
Er schloß die Augen, da das gleißende Licht ihn schmerzte. Was in aller Welt ging das draußen vor sich?
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