"Blind Writing" habe ich diesen Schreib-Prozess getauft. Ich schreibe eine Szene, die Anfang, Mittelteil oder auch das Ende einer Geschichte sein könnten. Die Story selbst kenne ich nicht. Die Geschichten werden sich mit der Zeit entwickeln und miteinander verbinden.
Copyright aller Texte: Michael C. Wagner

Dienstag, 9. März 2010

Point Noir II

Sie hatten den Mann nach Norden aufgebahrt. Die spärlicher werdende Sonne des Nachmittags fiel in den schmalen Raum und das Bett in der Mitte. Das Licht zeichnete sanfte rötliche Streifen auf den Leichnam. Von Ferne war das Rauschen der Brandung zu vernehmen, dass sich mit dem Rascheln der Palmen mischte. Ein Windhauch bewegte für einen Moment die schmutzigen Leinentücher vor dem Fenster.
Vor dem Bett kniete eine hagere Gestalt. Der Mann hatte die Hände gefaltet und presste sie gegen den tief geneigten Kopf. Die Frau an der Bettseite starrte unbeweglich auf die Fensteröffnung und bewegte lautlos die Lippen. Der Hagere hob den Kopf und sah zu der Frau hinüber, die ihren Blick von Fenster abwandte. „Hast du ihn gekannt ?“ fragte er leise. Sie verneinte die Frage mit einer kleinen Bewegung ihres Kopfes. Der Hagere erhob sich, ging langsam zum Fenster und schob die grauen Leinentücher zur Seite. Er wandte sich der Frau zu: „Es wird bald dunkel. Lass uns fahren. Bis wir in Point Noir sind, ist es Nacht“.
Die Frau erhob sich mit einem Seufzer und bedeckte dabei ihr Gesicht mit einem Schleier. Sie trat nah an den Mann, berührte vorsichtig seine Hand und sah ihn fragend an. Er packte ihre Hände an beiden Gelenken: „Man wird ihn finden, er hat keine Papiere. Ein Ausländer ohne Papiere. Sie werden keinen Ärger haben wollen….“ Er ließ den Rest des Satzes offen und wandte sich entschlossen zur Tür.

Als sie das Haus verließen frischte der Wind auf und trieb lose Büschel verdorrten Grases über die Strasse. Sie gingen schnell zu dem alten Chevrolet der Richtung der Hauptstrasse geparkt war. Nachdem sie eine Weile schweigend gefahren waren, griff der Hagere hinter sich und zog einen Revolver aus dem Hosenbund. Die Frau auf dem Beifahrersitz wandte den Blick und schlug ihren Schleier zurück. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und ihre langen blonden Haare fielen in ihr Gesicht. Sie setzte eine dunkle Sonnenbrille auf und sah in die blendende Helligkeit des Sonnenuntergangs. Die Blonde deutete stumm auf die Waffe, die er immer noch zwischen den Fingern hielt und dabei das Fahrzeug steuerte. Der Hagere nickte. Er drehte die Seitenscheibe des Chevrolets herunter und warf den Revolver in weitem Bogen in den Wüstensand.
Nach einer Weile nahmen sie eine Abzweigung, die sie auf die langgezogene Küstenstrasse führte. Das Meer lag jetzt vor Ihnen, über dem die Sonne sich anschickte, die Nacht einzuläuten.

Weit draussen über dem Meer, sich scharf gegen den untergehenden Sonnenball abhebend, erkannten sie die Konturen eines großen Helikopters.

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